TEIL II: Betriebsprämienantrag: Brauche ich ein Nutzungsrecht für die beantragten Flächen oder nicht? – Neue EuGH-Entscheidung v. 17.12.2020

Im Blog-Beitrag Teil I vom 20.12.2019 wurde die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur höchststrittigen Frage: Benötige ich als Betriebsinhaber ein Nutzungsrecht an meinen beantragten beihilfenfähigen Flächen?, für die frühere GAP 2005 dargestellt. Dabei wurde auch auf ein Vorabentscheidungsverfahren des VG Berlin beim Europäischen Gerichtshof zur aktuellen GAP 2014-2020 hingewiesen.

Grundlagen

Art. 24 der VO (EU) 1307/2013 regelt die Frage der Erstzuweisung von Zahlungsansprüchen (ZA). In Absatz 2 wird ausgeführt:

Außer im Falle höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände ist die Anzahl der je Betriebsinhaber 2015 zugewiesenen Zahlungsansprüche gleich der Zahl der beihilfefähigen Hektarflächen, die der Betriebsinhaber gemäß […] in seinem Beihilfeantrag für 2015 anmeldet und die ihm zu einem von dem betreffenden Mitgliedstaat festgesetzten Zeitpunkt (**in Deutschland 15. Mai**) zur Verfügung stehen.“

Für die Aktivierung der ZA, sprich der Antrag auf Auszahlung von Direktzahlungen wird in Artt. 32 i.V.m. 33 Abs. 2 S. 2 der VO (EU) 1307/2013 gefordert, dass

„Außer im Falle höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände müssen die angemeldeten Parzellen dem Betriebsinhaber zu einem vom Mitgliedstaat festzusetzenden Zeitpunkt (**in Deutschland 15. Mai**)  zur Verfügung stehen […].“

Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen die zuständigen Behörden grundsätzlich vermuten, dass die beantragten Flächen dem Antragsteller zur Verfügung stehen.

Wenn mehrere Antragsteller für eine beihilfefähige Fläche einen Antrag auf Zuweisung von ZA stellen, gilt nach Art. 15 Abs. 2 VO (EU) 639/2014 Folgendes:

Wer die Entscheidungsbefugnis zur Ausübung der landwirtschaftlichen Tätigkeiten auf der beantragten Fläche innehat und wer die Gewinne und finanziellen Risiken im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten trägt, erhält die Zahlungsansprüche.

Worum ging beim EuGH?

In dem vom EuGH am 17.12.2020 veröffentlichten Vorabentscheidungsverfahren „WQ“ ging es um die Erstzuweisung von ZA im Jahr 2015. Der klagende Landwirt „WQ“ erwarb im Jahr 2014 von der BVVG mbH landwirtschaftliche Nutzflächen, für die er mit der neuen GAP 2014-2020 auch die Zuweisung von ZA beantragte. Im Kaufvertrag mit der BVVG mbH wurde vermerkt, dass die Flächen „nicht verpachtet“ sind. Für einige dieser erworbenen Flächen stellte jedoch auch ein Dritter einen Antrag auf Erstzuweisung. Tatsächlich hatte der Dritte die Flächen, jedenfalls am 10. Juli 2015, bestellt.

Das Landwirtschaftsamt lehnte den Antrag auf Zuweisung der ZA im Umfang der Doppelbeantragung ab, da der Dritte die Fläche tatsächlich bewirtschaftet habe.

Das VG Berlin wollte nunmehr von EuGH u.a. die Frage beantwortet haben, wie Art. 24 Abs. 2 S. 1 der VO (EU) 1307/2013 auszulegen ist.

EuGH: Zuweisung von ZA an den Eigentümer nur dann, wenn…

Im Fall einer „Doppelbeantragung“ müssen die Behörden prüfen, welchem Antragsteller die Fläche tatsächlich zur Verfügung steht.

Wenn ein Beihilfeantrag sowohl vom Eigentümer landwirtschaftlicher Flächen als auch von einem Dritten gestellt wird, der diese Flächen ohne jede rechtliche Grundlage tatsächlich nutzt, so stehen die  entsprechenden beihilfefähigen Flächen einzig deren Eigentümer „zur Verfügung“.

„Zur Verfügung stehen“ – setzt weder nach Art. 24 der VO (EU) 1307/2013 noch nach anderen Regelungen des Unionsrechts das Vorhandensein und den Nachweis einer Eigentumsurkunde oder eines Nutzungsrechts voraus.

Welche Belege und Nachweise vom Antragsteller in Bezug auf die beantragten Flächen gefordert werden, steht im Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten. Bei der Prüfung haben die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Im Rahmen der Nachweisführung kann der Antragsteller verpflichtet werden, einen gültigen „Rechtstitel“ vorzulegen, mit dem seine Berechtigung zur Nutzung der von ihm beantragten Flächen nachgewiesen wird.

Die im Jahr 2010 vom EuGH in der Rechtssache „Landkreis Bad Dürkheim“ aufgestellten Grundsätze zur alten GAP 2005, die in Art. 15 Abs. 2 der VO 639/2014 aufgenommen wurden, greifen vorliegend nicht, weil der Dritte – so der mitgeteilte Sachverhalt des VG Berlin – keine rechtliche Rechtsgrundlage an den betreffenden landwirtschaftlichen Flächen geltend macht.

Aktivierung von ZA – Auszahlung von Direktzahlungen

Erkennbar haben Art. 24 Abs. 2 und Art. 33 Abs. 1 der VO (EU) 1307/2013 den gleichen Wortlaut, so dass auch bei der Aktivierung der ZA (in den Folgejahren) dem Betriebsinhaber die Flächen nach den aufgestellten Kriterien „zur Verfügung stehen“ müssen.

Daher haben die zuständigen Behörden auch bei der Aktivierung der ZA im Fall der Doppelbeantragung nach dem zuvor genannten Maßstab zu prüfen, wem die Flächen „zur Verfügung stehen“.

Was ist anders als im Urteil des BVerwG 2019?

Im Rechtsstreit vor dem BVerwG (Urt. v. 05.12.2019 – Az. 3 C 22/17) akzeptierte der Pächter die Kündigung eines wirksam abgeschlossenen Pachtvertrag nicht u. Er bewirtschaftete die ihm aufgrund des Pachtvertrages einmal rechtmäßig überlassenen Flächen trotz der –  aus seiner Sicht rechtswidrigen – Kündigung weiter. Außerdem beantragte er deswegen auch die damalige Betriebsprämie.

Im nun entschiedenen Fall „WQ“ stellt der EuGH klar, dass der Dritte sich auf keine (derartige) Rechtsgrundlage, sprich auf einen ursprünglich bestehenden Pacht- oder Gebrauchsüberlassungsvertrag, stütze und „nur“ tatsächlich die Fläche nutze. Daher seien die vom EuGH in der Rechtssache „Landkreis Bad Dürkheim“ aufgestellten Grundsätze nicht zu beachten.

Fazit und Empfehlung

Wenn die BVVG mbH dem Dritten im dargestellten Fall die Nutzung – auch unentgeltlich – erlaubt, rechtlich ihm somit ein Besitzrecht verschafft hätte, so wäre der Dritte nach den aufgestellten Kriterien schützenswert gewesen und dem Eigentümer „WQ“ stünden keine ZA zu.

Die häufige Mitteilung der Behörden, die Landwirte mögen sich untereinander einigen, ist zwar hilfreich, aber unwirksam. Denn der EuGH stellt klar, dass ihnen die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz obliegt.

Die vom BVerwG im Jahr 2019 zur alten GAP aufgestellten Grundsätze sind meines Erachtens auch weiterhin maßgeblich, wenn:

  • der Antragsteller zu einem früheren Zeitpunkt den Besitz an den Flächen (Pachtvertrag / Pflugtausch / sonstige Überlassung) rechtmäßig vom Berechtigten (Eigentümer/ Verpächter/ Pflugtauschpartner) erlangt hat und
  • er den Besitz nicht aufgegeben hat oder ihm der Besitz nicht durch rechtskräftigen Titel entzogen wurde.

Auch weiterhin bedarf es nicht des Bestehens eines rechtlich gesicherten Nutzungsrechts in Form von Eigentum oder eines Pachtvertrages. Der Antragsteller muss vom Berechtigten ein Besitzrecht wirksam erlangt haben. Wenn der Antragsteller die Flächen selbst rechtswidrig, z. B. durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) bewirtschaftet, ist er nicht schützenswert.

Ggf. hat der Eigentümer/ Verpächter / Pflugtauschpartner gegen den Antragsteller wegen einer verspäteten Heraus/- Rückgabe Schadensersatzansprüche. Im Verhältnis zwischen Antragsteller und Behörde sind diese Ansprüche jedoch unbeachtlich.

Die Nachweisführung kann durch den Landwirt unterschiedlich erbracht werden. Denkbar sind z. B.,

  • Eidesstattliche Versicherung des Antragstellers und/oder
  • Zeugniserklärung z. B. von Mitarbeitern oder Nachbarbetrieben

In jedem Fall sollte auch eine mündliche Nutzungsüberlassung vom Berechtigten dokumentiert werden.