Neues zum Arbeitsrecht – EuGH zur Arbeitszeiterfassung

Seit Tagen wird die Entscheidung des EuGH (Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18) zur Arbeitszeiterfassung diskutiert. Worum ging es und welche Folgen kommen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu?

Arbeits- und Gesundheitsschutz gebieten eine vollumfängliche Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers

Ausgangspunkt der Entscheidung ist die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Diese Richtlinie ist von allen EU-Mitgliedsstaaten einzuhalten, sodass nationale Vorschriften ggf. in Einklang zu bringen sind.

Der EuGH legt diese Richtlinie unter Berücksichtigung der Charta der Grundrechte der EU aus und urteilte im Kern: Im Sinne des Gesundheits- und Arbeitsschutzes des Arbeitnehmers haben Arbeitgeber ein System einzurichten, „mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“

Geklagt hatte ein spanischer Arbeitnehmer der Deutschen Bank mit Sitz in Spanien. Der EuGH betonte in der Entscheidung, dass sich der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber in einer schwächeren Position befinde. Aufgrund der fehlenden täglichen Arbeitszeiterfassung müsse der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit über die Vergütung von Arbeitszeit und Überstunden den Beweis für seine tatsächliche Arbeitszeit mit Beweismitteln z. B. dem Zeugenbeweis führen. Dem EuGH ist zuzustimmen, dass die als mögliche Zeugen benannten Kollegen „möglicherweise zögern, gegen ihren Arbeitgeber auszusagen, weil sie befürchten, dass dieser Maßnahmen ergreift, durch die das Arbeitsverhältnis zu ihren Ungunsten beeinflusst werden könnte.“

Auch in der Bundesrepublik gibt es häufig Streit über die Vergütung von Arbeitszeit und Überstunden. Der Arbeitnehmer muss die von ihm geleisteten Stunden darlegen und – im Bestreitensfall – beweisen, dass er die Arbeit verrichtet oder einer der Tatbestände vorgelegen hat, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt (vgl. BAG, Urt. v. 18.04.2012 – 5 AZR 248/11). Zwar gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast, gleichwohl ist zunächst der Arbeitnehmer in der Pflicht.

Bisherige Rechtslage zur Arbeitszeit

In der BRD war der Arbeitgeber bislang „nur“ verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit (§ 3 S. 1) hinausgehende Arbeitszeit zu dokumentieren. Die Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht von zwei (2) Jahren erfasst die Arbeitszeit, die über acht (8) Stunden hinausgeht, b) Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen sowie c) und den Nachweis, dass die durchschnittliche werktägliche Arbeitszeit von acht (8) Stunden im Zeitrahmen von (sechs) 6 Kalendermonaten oder 24 Wochen nicht überschritten wurde, zwei Jahre aufzubewahren (§ 16 Abs. 2 ArbZG).

In Ausnahmefällen kann die werktägliche Arbeitszeit von acht (8) Stunden auf bis zu zehn (10) Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden, § 3 S. 2 ArbZG. Ohne eine abweichende Regelung in einem Tarifvertrag (§ 7 ArbZG) oder durch Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 15 ArbZG) oder in außergewöhnlichen Fällen (§ 14 ArbZG) darf die werktägliche Arbeitszeit von zehn (10) Stunden nicht überschritten werden.

Wann die werktägliche Arbeitszeit beginnt, hängt zunächst vom Arbeitsvertrag ab. Grundsätzlich gilt: Mit der Aufnahme der geschuldeten Arbeitstätigkeit beginnt die Arbeitszeit. Ob dazu ggf. auch arbeitsbedingtes Umziehen zählt, hängt vom Einzelfall ab.

Daneben muss eine Ruhezeit zwischen zwei Arbeitsschichten von mindestens elf Stunden gewahrt (§ 5 ArbZG) und nach spätestens sechs Stunden Arbeit eine Pause eingelegt werden (§ 4 ArbZG). Der Arbeitgeber kann Umfang und Dauer von Pausenzeiten festlegen, wobei die Mindestdauer 15 Minuten am Stück einzuhalten sind. Nach sechs (6) Stunden ist eine Pause von mindestens 30 Minuten einzuhalten. Bei Arbeitszeiten von mehr als neun (9) Stunden ist die Arbeit für mindestens 45 Minuten zu unterbrechen.

Überstunden sind vom Arbeitnehmer nur dann geschuldet, wenn eine Regelung hierzu im Arbeits- oder Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung getroffen wurde. Daneben müssen Überstunden vom Arbeitgeber grundsätzlich angeordnet werden.

Neben den Regelungen zur werktäglichen Arbeitszeit gilt auch das Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung (§ 9 ArbZG), sofern nicht nach § 10 ArbZG ein Ausnahmetatbestand greift. In der Landwirtschaft und in der Tierhaltung sowie in Einrichtungen zur Behandlung und Pflege von Tieren darf auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden, sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Gerade der letzte Halbsatz wird von vielen Landwirten übersehen und kann zu nicht unerheblichen Bußgeldern oder sogar einer Freiheitsstrafe führen.

Staatliche Aufsicht

Die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes überwachen staatliche Aufsichtsbehörden wie die Gewerbeaufsichtsämter oder die Ämter für Arbeitsschutz (in Sachsen: Landesdirektion – Abteilung Arbeitsschutz; in Thüringen und Sachsen-Anhalt jeweils: Landesamt für Verbraucherschutz).

Gesetzgeber in der Pflicht

Grundsätzlich ist die Entscheidung des EuGH unabhängig von einer Anpassung des ArbZG ab sofort einzuhalten. Gleichwohl bedarf das ArbZG eines Updates an die neue Rechtsprechung. Die in einigen Bereichen praktizierte Vertrauensarbeitszeit und nicht im Einzelnen erfasste Überstunden werden wohl der Geschichte angehören. Die Art und Ausgestaltung der Erfassung (Stechkarten; Handzettel; App) wird ebenso zu thematisieren sein. Das klingt zunächst dramatischer als es ist. Im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sollte der deutsche Gesetzgeber eine sachliche und auch praktische Lösung, insbesondere für Klein- und mittelständische Unternehmen mit Außendienst, finden.